Afghanistan

Die Menschlichkeit und die Bürokratie

Der afghanische Bürger M.  war ein wichtiger Mitarbeiter der afghanischen Regierung vor der Machtübernahme der Taliban. Er hat mit internationalen Organisationen insbesondere für die Stärkung der Menschenrechte zusammengearbeitet. Daher war er nach der Machtübernahme durch die Taliban eine gefährdete Person. Anfang Dezember 2021 kam M. mit dem letzten Evakuierungsflug über Usbekistan und Islamabad nach Deutschland. Er fand Unterkunft in Blieskastel. Doch seine Frau und seine beiden Kinder mussten in Kabul bleiben. Niemand fühlte sich für sie zuständig. Eines der beiden Kinder starb dort an Corona.

Nur mit gültigen Reisepässen ist die Einreise von Afghanistan nach Pakistan möglich. Die Frau und der 17-jährige Sohn von M. hatten aber keine Reisepässe. Es ist für gefährdete Personen sehr schwierig, Reisepässe von den Taliban zu erhalten.

Seit Ende 2021 nahm sich ein Vorstandsmitglied der Flüchtlingshilfe Blieskastel e.V. der Familie an. Eine Odyssee der Kontaktaufnahme mit Behörden und Organisationen begann. Über verschiedene Ministerien, das Auswärtige Amt, die UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan), die deutschen Botschaften in Neu Delhi und Islamabad, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), bis hin zu einem früher in Kabul, jetzt in Mecklenburg-Vorpommern stationierten Brigadegeneral der Bundeswehr setzte er alle verfügbaren Hebel in Bewegung, um Frau und Sohn zunächst die Ausreise aus Afghanistan zu ermöglichen. Letztendlich organisierte nach unzähligen E-Mails und Telefonaten die GIZ den Flug von Kabul nach Islamabad und stellte den beiden dort eine Unterkunft zur Verfügung. Auch ein Termin bei der deutschen Botschaft wurde in Zusammenarbeit mit der GIZ organisiert, der dazu führte dass die beiden ein Visum und Flugtickets nach Deutschland bekamen.

Doch nach der Ankunft in Leipzig verlor sich ihre Spur: die GIZ war nicht mehr zuständig, beim jetzt angeblich zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war kein Mitarbeiter für den ehrenamtlichen Helfer zu sprechen. Niemand konnte Auskunft über den Verbleib der Familie geben. Nach vielen Anrufen stellte sich heraus, dass für diesen Personenkreis die Zuständigkeit beim Innenministerium liegt. Erst als er durch den Kontakt zu einem Sicherheitsdienst-Mitarbeiter Hinweise dafür hatte, dass die Familie ins Aufnahmelager nach Bad Fallingbostel gebracht worden war, versuchte er sich dies von einer Mitarbeiterin der Landesaufnahmestelle Braunschweig bestätigen zu lassen. Doch die weigerte sich, ihm Auskunft zu geben. Erst als er ihr mitteilte, dass im Grunde er die gesamte Familienzusammenführung organisiert hatte und ihr die Platznummern der Familie im Evakuierungsflugzeug nannte, war sie sprachlos. Als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte, bestätigte sie, dass sich die Familie in Bad Fallingbostel befinde und ins Saarland zugewiesen sei.

Seit ein paar Tagen ist die Familie wieder vereint.

Die von Regierungsvertretern öffentlich zur Schau getragene Beteuerung, dass den gefährdeten Menschen in Afghanistan uneingeschränkt geholfen werde, wurde wie so oft auch hier wieder einmal zunächst in bürokratischen Mühlen aufgerieben und die Familienzusammenführung wäre fast gescheitert. Einzig und allein die Hartnäckigkeit eines ehrenamtlichen Helfers, alle Hindernisse beiseitezuräumen und trotz ständiger Widerstände nicht aufzugeben, ist es zu verdanken, dass die Familie nach so vielen Monaten wieder vereint ist.

Noch unzählige Familienangehörige ehemaliger Ortskräfte oder gefährdeter Personen, gefährdete Personen selbst und insbesondere eine riesige Anzahl von Frauen sitzen in Afghanistan fest, leiden unter dem Regime der Taliban und haben keine Möglichkeit sich in Sicherheit zu bringen. Es stünde der Bundesregierung gut an, die Hilfe bei der Evakuierung massiv zu verstärken und bürokratische Hemmnisse wie z.B. den Besitz eines Reisepasses als Voraussetzung für den Besuch einer deutschen Botschaft abzuschaffen.